Frauen in Männerberufen
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Wir können auch anders! – Frauen in Männerberufen

Was motiviert Frauen in Männerberufen zu arbeiten?

Was haben eine Autohausinhaberin, eine Dipl. Informatikerin, eine Malermeisterin und eine Dipl. Ingenieurin gemeinsam? Sie alle haben sich als Frauen in Männerberufen selbständig gemacht. Was hat sie dazu motiviert und wie behaupten sie sich unter den Kollegen und Angestellten?

Mit der Muttermilch eingeflößt

Das Interesse an Technik bekamen Autohausinhaberin Ulrike Schettler, Bauingenieurin Manuela Kramp und Malermeisterin Annette Wolf quasi schon mit der Muttermilch eingeflößt. Alle Väter bzw. Mütter und Großväter kamen bereits aus der Branche und waren Vorbilder für die selbständigen Frauen in Männerberufen. Sonja Neuß (IT service & support) entdeckte ihre Leidenschaft für Computer über den zweiten Bildungsweg am Oberstufenkolleg (OS) Bielefeld.

„Weibliche Vorbilder in der IT waren am OS und später an der Universität Bielefeld wenig bis gar nicht zu finden.“

Hohes Bildungsniveau

Wie wichtig das Thema Vorbilder im MINTBereich für Mädchen und Frauen ist belegt Dr. Ulrike Struwe vom Kompetenzzentrum Technik und Diversity anhand von Zahlen und Praxisbeispielen. Die Fachbereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) finden bei jungen Frauen noch immer wenig Berücksichtigung in der Berufswahl. Trotz des hohen Bildungsniveaus von studienberechtigten Frauen (52 % eines Jahrgangs) entschieden sich 2012 nur etwa ein Fünftel für ein Ingenieursstudium. Im Handwerk waren etwa 27% der Auszubildenden weiblich.

Vorbilder müssen erreichbar sein

Eine Ursache seien die fehlenden Vorbilder für Mädchen und junge Frauen, so Dr. Struwe und verweist auf die „Erreichbarkeit von Vorbildern“.

„Die reichlich überstrapazierte Vorzeigefrau in der Führungsebene ist wenig hilfreich als Orientierung.“

Mit dem Projekt „Komm mach MINT“ bietet das Kompetenzzentrum derzeit bundesweit rund 1000 Einzelprojekte an, um jungen Frauen die Thematik nahe zu bringen und den Kontakt mit den Unternehmen herzustellen.

Werkzeuge für Mädchenhände

Werkzeuge für Mädchenhände

Dass manchmal nur Kleinigkeiten nötig sind um das Image technischer Berufe zu verbessern, stellt Karin Ressel, Social Entrepreneur und Ashoka Fellow vom Technikzentrum Minden Lübbecke rasch und eindrucksvoll dar:

„Ein Werkzeug so zu verändern, dass es in kleinere Mädchenhände passt, kann da schon mal ausreichen.“

Unter ihrer Initiative entstand der Berufsparcours, ein Projekt in dem sie Unternehmen und Schulen zusammen bringt. Für Betriebe erweist sich der Berufsparcours als ein effizientes Mittel um Jungen und Mädchen mit ihren Fähigkeiten kennen zu lernen und für spätere Praktika oder Ausbildungen auszuwählen. Im Gegenzug erfahren die Jugendlichen in praktischen Übungen wo ihre Stärken liegen. Für Ihr Engagement beim Aufbau des Berufsparcours, den sie 2011 mit einem Privatkredit finanzierte, erhielt Karin Ressel 2016 das Bundesverdienstkreuz am Bande.

 

Kaufentscheidung durch Frauen

Mehr Verkäuferinnen in ihren Autohäusern einstellen zu können ist das schwer erreichbare Ziel von Ulrike Schettler.

„Immer mehr Frauen fühlen sich bei einer Autoverkäuferin besser aufgehoben.“

Dazu komme, dass „die Kaufentscheidung eines Neuen oder Gebrauchten immer häufger durch die Frauen bestimmt wird“, so Schettler. Sie selbst liebt das Verkaufen und steht am Samstag gerne im Verkaufsraum.

Technische Sachverhalte verständlich machen

Sonja Neuß betreut als Systemadministratorin eine überwiegend weibliche Kundschaft. „Da ist viel Vertrauen mit im Spiel“, beteuert sie, „geht es doch letztlich um sensible Daten“. Die Kundinnen schätzten ihre Art technische Sachverhalte anschaulich zu erklären, anstatt nur die Dienstleistung durchzuführen. „Mir ist es wichtig, verstanden zu werden“, so Sonja Neuß.

Sensibilität gefragt

Auch Malermeisterin Annette Wolf „redet“ mit ihren Kunden. Das Bild vom schweigsamen Handwerker liegt ihr nicht: „Wir erklären unseren Kunden ganz genau was wir machen, das würde ich selbst nicht anders wollen.“

„Als Handwerker dringen wir ja quasi in die Privatsphäre unserer Kunden ein. Da ist Sensibilität gefragt.“

Auf dem Bau wird Tacheles gesprochen

Manuela Kramp ist als Architektin mit Bauaufsicht nah an der Handwerkerschaft und in der Kommunikation auf dem Bau geübt. Die promovierte Ingenieurin stellt nur weibliche Praktikanten ein um „sie von Anfang an mit der Praxis vertraut zu machen.“ Für die jungen Frauen schafft das Klarheit: „Auf dem Bau entscheidet sich schnell ob das Architekturstudium für sie das Richtige ist“, so Kramp, „denn da wird Tacheles gesprochen!“

Wenig genutzte Ressource – Frauen in Männerberufen

Heute ist der Einstieg in technische und männerdominierte Berufe für interessierte Frauen ein wenig einfacher geworden. Kampagnen und Vereine wie der regelmäßig stattfindende Girls‘ Day oder experiMINT e. V. bieten jungen Frauen die Gelegenheit in die technischen und naturwissenschaftlichen Berufsfelder „hineinzuschnuppern“. Unternehmen öffnen sich mehr und mehr der MINT-Thematik und kooperieren mit Schulen und Universitäten für die Nachwuchsgewinnung. Zugegebenermaßen ist diese Initiative nicht ganz uneigennützig. In Zeiten des Fachkräftemangels muss auf weniger genutzte Ressourcen zurückgegriffen werden um wettbewerbsfähig zu bleiben. Und das sind die Frauen.

 

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Text und Foto: Michaela Heinze