Unternehmerinnen trotzen Corona

Zukunftsperspektiven – Der Abendspaziergang

Vera Brüggemann – Illustratorin und Künstlerin

Einbrüche, Veränderungen oder Umorientierungen in ihrem beruflichen Werdegang sind für Vera Brüggemann nichts Neues. In den vergangenen 27 Jahren hat die Bielefelder Illustratorin und Künstlerin schon viele Hürden gemeistert. Meistens mit Erfolg, jedoch oft mit großer Kraftanstrengung und finanziellen Einbrüchen verbunden. „Diese Zeit ist für mich keine ungewöhnliche Situation und das geht auch vielen Menschen im gestalterischen Bereich so“, beschreibt Vera Brüggemann ihren Umgang mit der Corona Pandemie. „Es gibt in unserem Beruf keine Sicherheiten und wenn etwas wegfällt, schaue ich was unter den Rahmenbedingungen möglich ist und entwickle neue Ideen.“ Selbstreflektion, gepaart mit flexiblem Denken gehört seit Beginn ihres beruflichen Lebens zu ihrem überlebenswichtigen Rüstzeug.

Überdenken des Geschäftsmodells

Vera Brüggemann startete motiviert als junge Textildesignerin in die Selbständigkeit. Der Einbruch der Textilindustrie, ausgelöst durch die Wirtschaftskrise 2008/ 2009, zwang sie zum Überdenken ihres Geschäftsmodells. Die Kunden waren ihr weggebrochen und damit ihre existenzsichernde Haupteinnahmequelle. Sie orientierte sich um, erweiterte ihre Kompetenzen und Begann als Illustratorin für verschiedene Verlage zu arbeiten.

Aktivposten der freien Kunstszene

Über ihr Künstler*innen Netzwerk eröffneten sich nach und nach weitere Tätigkeitsfelder. Heute wird sie von Museen als Kunstvermittlerin gebucht. Unternehmen beauftragen Illustrationen für Werbematerialen und Broschüren. Besonders wichtig ist ihr die Arbeit als Aktivposten in der freien Bielefelder Kunstszene. Ehrenamtlich unterstützt sie Künstlerinnen und Künstler bei der Konzeptentwicklung und Ausarbeitung von Projekten. „Gemeinsam Dinge entwickeln, sich gemeinsam unterstützen“, ist ihre Devise.

Illustratorin und Künstlerin Vera Brüggemann im Interview

Nicht nach Corona anfühlt

Aus dieser Haltung heraus entstand im Corona Sommer das Projekt des „Abendspaziergangs“. Zusammen mit der Künstlerin Christine Gensheimer mobilisierte Vera Brüggemann weitere Künstler*innen, um eine Kunstausstellung im öffentlichen Raum der Bielefelder Innenstand zu organisieren. Die Rahmenbedingungen gab zwar die Pandemie vor, aber davon wollten sich die Veranstalterinnen nicht beeinflussen lassen.

„Wir wollten eine Kunstaktion unter Corona Bedingungen durchführen, die sich aber nicht nach Corona anfühlt.“

Entstanden ist ein Kunst Parcours, der im Vorbeigehen zum Innehalten, Erleben und Bestaunen der Exponate einlud.

Gewitter kaufen

So avancierte zum Beispiel das mit Buttermilch bestrichene Schaufenster eines leerstehenden Ladenlokals zur Filmprojektionsfläche. Hinter einer gekippten Fensterscheibe im Erdgeschoß eines Mietshauses lud ein Monitor mit Filmbeiträgen zum Verweilen an. Ein kleines Spektakel präsentierte Timo Katz an der Mauer des Artists Unlimited Hauses. Hier verkaufte der Künstler „Gewitter“. „Wer 50 Cent in einen Kasten warf, erlebte einen rüttelnden Baum, es gab ein bisschen Donner, es hat geblitzt und dann kam ein bisschen Wasser herunter.“ Vera Brüggemann ist noch immer begeistert und auch ein wenig stolz: „Unsere Aktion hat ein bisschen den Stadtteil verzaubert und das haben wir gemacht.“

Künstler*innen müssen bezahlt werden

Vera Brüggemann und Christine Gensheimer waren sich, ob des Erfolges der Ausstellung, schnell einig. Den Abendspaziergang wollen sie im nächsten Jahr wiederholen. Und diesmal erhalten die beiden Künstlerinnen auch finanzielle Unterstützung vom Kulturamt, das auf die erfolgreich durchgeführte Aktion aufmerksam wurde. Zwar haben alle Beteiligten mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit zum Gelingen beigetragen, aber das könne nicht so bleiben, finden Vera Brüggemann und Christine Gensheimer: „Wir sind der Meinung, Künstler*innen müssen bezahlt werden.“ Damit das im kommenden Jahr klappt müssen die Initiatorinnen noch ein bisschen die Werbetrommel rühren und Sponsoren gewinnen.

Zukunftsperspektive Abendspaziergang

Die Aussicht auf eine Neuauflage des Abendspaziergangs als Kunstaktion im kommenden Jahr gibt Vera Brüggemann Zuversicht für die bevorstehende Zeit. „Ich merke, wenn ich über den Abendspaziergang spreche, wie das zu einer Zukunftsperspektive für mich wird und wie begeistert ich darüber bin,“ freut sich die Künstlerin.

Gegenseitige Unterstützung

Neben der gelungenen Durchführung ihres Abendspaziergangs und der Perspektive auf eine Fortsetzung im kommenden Jahr ist ihr eines wichtig; den vielzitierten Slogan „Gemeinsam schaffen wir das“ wörtlich zu nehmen: „Wir müssen es wirklich gemeinsam machen. Wir müssen uns umeinander kümmern und fördern.“ Vera Brüggemann hat viel Engagement gezeigt. Das entspricht ihrem Naturell. Aber sie hat auch viele Unterstützer*innen und das weiß sie zu schätzen: „Gegenseitige Unterstützung ist etwas, was uns durch diese Zeit helfen kann.“


Krisen sind Chancen. Was sich leicht sagen lässt, ist im harten Alltag der Corona Pandemie kein einfaches Unterfangen. Flexibilität und Kreativität sind gefragt, wenn es darum geht neue Wege zu gehen und vor allem braucht es eins: Durchhaltevermögen. Wir haben uns gefragt, wie Unternehmerinnen der Krise trotzen und selbständige Frauen aus Ostwestfalen-Lippe um ein Interview gebeten. Wir wollten wissen, welche Einschränkungen Ihnen die Krise bringt, aber auch welche Chancen sie bietet und welche Wünsche sie an eine Zeit nach der Covid-19-Pandemie haben. Die Serie soll selbständigen Frauen Mut machen kreativ zu denken und neue Wege zu finden, um gut durch die Krise zu kommen.

Text und Videoredaktion: Michaela Heinze, nette30 Kommunikation für das Frauenbranchenbuch OWL

Ausgezeichnet!

Urkunde Sonderpreis Corona-Berichterstattung geht an das Online Magazin des Frauenbranchenbuch-OWLDie Beitragsserie „Wie Unternehmerinnen der Krise trotzen“ wurde am 16.12.2020 von der Landesanstalt für Medien NRW mit dem „Sonderpreis für Corona Berichterstattung unabhängiger Medien“ ausgezeichnet.
„Sie (…) erweitern das Lokale Informationsangebot mit weiteren Perspektiven, indem sie sich engagieren und damit eine systemrelevante Aufgabe vor Ort erfüllen. Das ist tapfer, sympathisch und in allen Fällen nah dran. Es stärkt das Vertrauen in den Journalismus und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Weiter so!“
Jury

Prof. Dr. Henriette Heidbrink (Professorin für Medienmanagement & Online-Journalismus an der HMKW und HSRM),  Alexander Drößler (Manager digitale Transformation bei der Nordkurier Mediengruppe) und Stefan Malter (Journalistik-Dozent an der Uni Dortmund und Chefredakteur von NRWision)